(aktualisiert 20.06.2012)

Ratingagenturen

Auf der Suche nach den Ursachen der Finanzkrise stößt man schnell auf Vorwürfe an die Ratingagenturen und ihre angebliche damalige Praxis, Derivate standardmäßig mit der Höchstnote AAA zu versehen. Daraus scheinen die Ratingagenturen ihre Lehren gezogen zu haben und erscheinen manchen Beobachtern nun übereifrig in der Herabstufung ausländerischer Staaten, allen voran der Mitgliedsstaaten der Eurozone. Kritiker weisen darauf hin, dass dadurch Krisen weiter verschärft werden. Fairerweise wird man aber anerkennen müssen, dass die Ratingagenturen als Einzige die Misere ans Tageslicht befördern und Politiker endlich dazu zwingen, etwas zu unternehmen.

 

Nun fragen sich jedoch viele, ob mit unterschiedlichem Maße gemessen wird. So wurden die USA und Großbritannien nur geringfügig oder gar nicht herabgestuft. Diese beiden Staaten sind mit ihrer Finanzindustrie eng verwoben. Dies gilt auch für die 3 größten Ratingagenturen der Welt. Sie werden von denjenigen bezahlt, die sie beurteilen. Es gibt einen alten Spruch: "Wessen Brot ich eß, dessen Lied ich sing". Das haben sich auch die Regulierer in den USA und in der EU gedacht, als sie ihre Reformen der Ratingagenturen anpackten. Lesen Sie, was daraus geworden ist...

 

Neuen Schwung in die Diskussion bringt das Projekt des Unternehmensberaters Roland Bergers. Eine Gründung einer europäischen Ratignagentur stehtbevor.

 

Übersicht:

  • Verantwortung der Ratingagenturen für die Finanzkrise
  • Reform der Ratingagenturen-Aufsicht in den USA
  • Reform der Ratingagenturen-Aufsicht in der EU
  • Gründung einer europäischen Ratingagentur

Verantwortung der Ratingagenturen für die Finanzkrise

Die Verantwortung der Ratingagenturen liegt in dem Versagen, angemessene Ratings für die Verbriefung von Hypothen geliefert zu haben. Dies bestätigt sich in der Aufarbeitung der Ursachen der Finanzkrise durch die Fincancial Crisis Inquiry Commission in dem von ihr herausgegebenen "Financial Crisis Inquiry Report". In ihm wird die Rolle der Ratingagenturen (CRA) wie folgt beschrieben:

  • Bedeutende Finanzhäuser haben hinsichtlich der Hypothekenpapiere blind den CRA vertraut (Seite xvii)
  • CRA und Finanzinstitute haben auf mathematische Modelle vertraut (Seite xix)
  • Die Fehler der CRA waren wesentliche Zahnräder im Rad der Finanzvernichtung. die 3 CRA waren Schlüsselermöglicher des finanziellen Kernschmelze (Seite xxv)
  • Die Darlehen wurden in Mortgage Backed Scurities MBS verpackt und meist mit dem Stempel AAA versehen (Seite 8)
  • Die Komplexität der Verbriefung der Hypotheken verwandelte die 3 führenden CRA in Schlüsselfiguren im Prozess zwischen Emittent und Investor (Seite 43)
  • Vor der Verbriefung von Hypotheken waren die CRA hauptsächlich damit befaßt, Investoren bei der Bewertung von Kommunalen und Unternehmensanleihen sowie Commercial Papers zu helfen (Seite 43)
  • Die hohen Ratings, die irrtümlich den CDOs von den CRA gegeben wurden, ermutigten Investoren und Finanzinstituten sie zu kaufen und ermöglichten die fortgesetzte Verbriefung von nicht-erstklassigen Hypotheken (insbesondere bei Moody's) (Seite 155)
  • Die CRA haben grenzenlos versagt, in der zentralen Aufgabe, Qualitäts-Ratings auf Wertpapiere zum Nutzen der Investoren zu liefern (Seite 212)
  • Am 10. Juli 2007 haben S&P 612 Subprimes (MBS) auf Negative Watch gesetzt  und Moody's 399 MBS herabgestuft. Am darauf folgenden Tag haben Moody's 184 CDOs auf Credit Watch gesetzt und S&P 498 der 612 Tranchen herarbgesetzt. Ähnlich handelte Fitch. (Seite 242)
  • Die Entscheidung der CRA, einen negativen Ausblick für die Monoliner-Emittenten zu geben bzw. sie später herabzustufen, hatte zur Folge, dass die von ihnen gesicherten Papiere im Wert von mehreren Hundert Milliarden Dollar an Wert verloren (Seite 301)
  • CRA bewerteten fehlerhaft MBS und deren Derivate als sichere Anlage (Seite 418, Dissenting Statement)

Reform der Ratingagenturen-Aufsicht in den USA

Kurz vor Ausbruch der Finanzkrise verabschiedete der Kongress in 2006 den Credit Rating Agency Reform Act. Darin werden Richtlinien für die Börsenaufsicht SEC formuliert, welche Ratingagenturen als Nationally Recognized Statistical Rating Organizations (NRSRO) anerkannt werden. Ferner erhielt die SEC die Macht, deren interne Prozesse der Aufzeichnung und deren Maßnahmen zum Schutz gegen Interessenkonflikten zu regulieren. Ausdrücklich wurde jedoch der SEC untersagt, die Ratingmethoden der NRSRO zu regulieren.

 

Mit dem Dodd-Frank Wall Street Reform and Consumer Protection Act DFA wurden die Befugnisse der SEC erweitert und eine Anzahl von Anforderungen an die NRSRO sofort und ohne Richtlinienaufstellung der SEC in Kraft gesetzt. Betroffen sind folgende Themenkreise:

  • Jahresberichte über Interne Kontrolle
  • Interessenkonflikte hinsichtlich Verkaufs- und Marketingpraxis
  • "Look Backs" beim Ausscheiden von Kreditanalysten der Agentur
  • Bußgelder und Strafen
  • Offenlegung von Performance-Statistiken
  • Anwendung und Offenlegung von Credit Rating Methoden
  • Offenlegung von zugrundegelegten Daten und Annahmen
  • Offenlegung von "Third Party Due Diligence"
  • Analysten Training und Prüfung
  • Konsistente Anwendung von Ratingsymbolen und Definitionen
  • Offenlegung von Ratings von Asset Backed Securities ABS

Für die geplante Gründung des "Office of Credit Ratings" gemäß §932 DFA hat die SEC noch keinen Termin festgelegt.

Link zur SEC: "Implementing Dodd-Frank ... Act - Upcoming Activity"

Reform der Ratingagenturen-Aufsicht in der EU

Die Europäische Kommission hat am 15.11.2011 einen Vorschlag (2011/0361 COD) zur Änderung der bisherigen Regulierung von Credit Rating Agencies (EC 1060/2009 vom 07.12.2010) unterbreitet:

  • Ausdehnung der Regulierung auf Rating Outlooks
    • Verpflichtung zur Tendenzangabe
    • Zeithorizont, in dem eine Ratingänderung zu erwarten ist
    • Einführung eines Rating Outlook-Konzepts
  • Verwendung von Credit Ratings
  • Verbot für Banken sich auf eine Ratingquelle zu verlassen
  • Verpflichtung der Banken zu eigenen Ratings-Ermittlungen
  • Beaufsichtigung dieser bankeigenen Standards
  • Verzicht der ESMA, EBA, EIOPA auf Bezugnahme
  • Auflagen für Emittenten von strukturierten Finanzprodukten
  • Unabhängigkeit von Ratingagenturen (CRAs)
    • Inhaber von mehr als 5%
    • Inhaber, die mehr als 5% an einer anderen CRA halten
    • Rotation beim Emittenten nach 3 Jahren bzw. 1 Jahr (falls mehr als 10 Ratings innerhalb eines Jahres in Auftrag gegeben wurden)
    • Rotation der CRA-Mitarbeiter nach 4 Jahren
    • Interessenkonflikt-Verbot
    • Verbot der Beratung von CRA-Kunden durch Personen, die einen Einfluss auf die CRA haben (z.B. mehr als 5% an der CRA halten)
  • Offenlegung von Methoden, CreditRatings und Rating Outlooks
  • Regeln für das Rating von Staaten
    • Neubewertung innerhalb von 6 statt 12 Monaten
    • Veröffentlichung eines Full Research Reports je Rating
    • Veröffentlichung von Personaleinsatz und Umsatz
  • Vergleichbarkeit von Credit Ratings und deren Gebühren
  • Haftung gegenüber Investoren

Die EU hat vorläufig die Absicht aufgegeben, eine europäische Ratingagentur zu errichten.

 

Link zur EU: Regulation amending Regulation on Credit Rating Agencies

Die Ratingagentur Standard and Poor's hat am 07.02.2012 zu der Aufsichtsreform in der EU Stellung genommen:

  • Die Europäische Kommission hat im November 2011 eine Reihe von weiteren Regulierungen für Credit Ratings vorgeschlagen. Einige von diesen stehen im Einklang mit internationaler Politik, wie die Verringerung des mechanischen Gebrauchs durch Regulierer und Investoren sowie die Förderung der Transparenz der Ratings
  • Andere Vorschläge fallen jedoch weltweit aus dem Rahmen und riskieren, den Prozess für Feststellung, Bewertung und Verteilung von Darlehenskapital für europäische Unternehmen, unter anderem:
    • Pflichtrotation der Ratingagenturen für Darlehensgeber
    • Besondere Haftungsstandards
    • Genehmigung von Methodenänderungen und Standardisierung der Ratingskalen und Ratingdefinitionen
    • Ausschluss oder Beschränkung der Ratings von Agenturen mit Anteilseigner, die mehr als 10% Beteiligung oder 5% Aktien halten

Links zu Standard and Poor's:

"The Role and Regulation of Rating Agencies in Europe" bzw. im Detail

"Impact of European Commission's Proposals for Credit Rating Agencies"

Gründung einer europäischen Ratingagentur

Amm 26.04.2012 wird bekannt, dass der Unternehmensberatungs-Chef Roland Berger nun doch genügend Banken und Versicherungen als Investoren gefunden hat, um eine Stiftung und eine operative Gesellschaft zu gründen. Die erste private Ratingagentur in Europa soll weltweit aktiv werden. Die Leitung soll der derzeitige Seniorpartner der Unternehmensberatung Roland Berger, Markus Krall, übernehmen. Die Ratingagentur soll ihre Tätigkeit 2013 aufnehmen.

Haftung von Ratingagenturen

Am 19.06.2012 verabschiedete der Wirtschaftsausschuss des Europäischen Parlaments einen Gesetzesentwurf, durch den Ratingagenturen in folgenden Fällen haftbar gemacht werden:

  1. Investoren haben bewertete Produkte gekauft oder verkauft
  2. Nachweis:
    1. eines methodischen Fehlers, 
    2. grober Fahrlässigkeit oder 
    3. eines bewussten Regelverstoßes

Allerdings muss das Parlament sich mit den EU-Regierungen auf einen Gesetzestext einigen.